Freitag, 5. Januar 2007

April 2006

Damaskus, April 2006


Abschiedsgrüße aus Damaskus!


Nun befinden wir uns schon in den letzten Wochen... Ein Jahr ist es beinahe her, dass wir von München aus nach Damaskus aufgebrochen sind, um in der ewigen Stadt zu arbeiten und zu leben. Nun läuft unser Vertrag aus und damit neigt sich auch unser Aufenthalt hier dem Ende zu. Trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse gerade im Beruf können wir uns über diese einmalige Chance sehr glücklich schätzen und haben dieses Jahr wahrlich genossen.

Das Land und seine Menschen sind einmalig auf dieser Welt und wir haben während unseres Aufenthaltes sehr viel Schönes erleben dürfen. Und in den letzten Wochen hat sich der Syrer nochmal richtig ins Zeug geworfen, um uns zu zeigen, was er alles kann: eine dreiviertelte Sonnenfinsternis am wolkenlosen Himmel, ein Erdbeben mit schwankendem Hotelturm mitten in der Nacht und ein Sandsturm, der ganz Damaskus in gelb tauchte!

Aber das sind nicht die einzigen Dinge, die uns mit der Zeit ans Herz gewachsen sind und die wir in Deutschland sicherlich sehr vermissen werden:


Einkaufsparadies Syrien

Einkaufen in Damaskus hat allgemein einen gänzlich anderen Charakter als in Deutschland: ob man will oder nicht, man baut in sehr kurzer Zeit ein persönliches Verhältnis zu allen Shop-Inhabern in mittel- und unmittelbarer Umgebung auf, bei denen man wenigstens einmal vorbeigeschaut hat. Große Kaufhäuser existieren nicht, alles ist in kleinen oder Kleinst-Läden untergebracht und der Inhaber selbst steht normal hinter der Theke – gerade als blonder Zopfträger bleibt man da natürlich in Erinnerung! Und geben tut es hier wirklich alles; man muss nur wissen, in welchem Spezial-Souk man danach suchen muss!


Im Souk zur Haupteinkaufszeit


Allein die Schaufenster sind zumeist schon eine Wonne: liebevoll dekoriert, jeder Zentimeter bis ins kleinste ausgenutzt und vollgehängt, unendlich bunt und vielfältig – auch wenn die Auswahl im Laden selbst dahinter meist ziemlich zurücksteht... Klamotten gerade für Männer sind eine Wonne: der Hemdkauf wird schnell zur Sucht, was bei dem durchschnittlichen Preisniveu von € 10 – 15 für ein topmodisches Exemplar auch überhaupt kein Wunder ist. Businesshemden sind mit rund € 25 schon fast teuer, allerdings gibt es dafür hochwertigste Stoffe und teilweise wird auch direkt auf den Leib geschneidert.

Besonders verlockend sind die Zeiten des Schlußverkaufs: über einen Zeitraum von rund sechs Wochen ist fast alles um 50% reduziert – wer kann da noch widerstehen...? Schals und Tunikas runden das Angebot für die Damenwelt ab, und selbst die Unterwäsche ist wunderschön, hat allerdings einen Nachteil: es gibt ausschließlich B-Cup im Angebot, was die anatomischen Besonderheiten der weiblichen Oberweite nur ungenügend berücksichtigt – es ist uns bis heute ein Rätsel, wie die durchschnittliche (gewichtige) einheimische Frau damit zurecht kommen kann!


Stoff- und Deckenladen im Tekkiye Souk


Aufgrund der niedrigen Einkommen sind Dienstleistungen generell absolut preiswert:
  • Hemd waschen und bügeln € 0,70;
  • Anzug reinigen € 1,50;
  • Hosen kürzen ebenfalls € 0,70;
  • Schuhe reparieren und putzen €2,00;
  • 1 km Taxi fahren € 0,15.
Weitere interessante Beispiele für potentielle Gesundheitstouristen:
  • Wurzelbehandlung mit Füllung € 90;
  • Professionell vermessene Brille mit allem PiPaPo: € 40.
Die lokale Musikindustrie ist ebenfalls sehr umtriebig: neueste CDs gibt es frisch gebrannt für € 1,15, falls der Titel gerade nicht vorhanden ist, muss man halt fünf Minuten warten (wird dann im Hinterzimmer schnell organisiert...). Immer lohnenswert ist auch ein Besuch beim örtlichen DVD-Dealer, der z.B. King Kong innerhalb von 24 Stunden besorgt – für € 1,50 muss man halt die arabischen Untertitel inkauf nehmen.

Und auf Essen und Trinken möchten wir an dieser Stelle gar nicht eingehen, denn sonst erwischt uns die Melancholie schon jetzt vor unserer Abreise...: Säfte... Vorspeisen... Eis... Gewürze... Obst... Süßigkeiten... Nüsse... seufz..................


Jordanien

Tja, und wenn das alles noch nicht reicht, dann bleibt immer noch der Ausflug nach Beirut oder Amman – beide Städte sind gerade mal drei Stunden von Damaskus entfernt und schon ist man wieder mittendrin im „westlichen“ Leben! Und das haben wir Anfang April nochmal für eine Woche Urlaub genutzt und uns frech in Jordanien ans Rote Meer geworfen. Lustige Situation, wenn man in Aqaba am Strand sitzt und übers Wasser gleichzeitig auf saudisches, ägyptisches und israelisches Land schauen kann, alles innerhalb von 40 km Küste!

Die Auszeit hat uns nach den stressigen Arbeitswochen in Syrien auch ziemlich gut getan und unsere Energien nochmal runderneuert für den Endspurt. Danach haben wir uns noch einen langgehegten Traum erfüllt: einen Tour und eine Übernachtung im Wadi Rum, der einzigartigen Wüstenlandschaft im Süden Jordaniens. Bizarre Felsformationen stechen dort aus dem Untergrund hervor und verwandeln die ganze Region in ein endloses Meer aus Stein und Sand. Und was wir zwar schon oft gehört aber nie so richtig geglaubt hatten: im Frühjahr mit den Regenfällen kann die Wüste wirklich grün sein von lauter kleinen Pflanzen, die mitten aus dem Boden wachsen! Als Abschluß gab es dann am nächsten Morgen noch den Sonnenaufgang, der die Berge in ihrer ganzen Farbenpracht erstrahlen ließ – das frühe Aufstehen hatte sich dafür definitiv gelohnt!


Grüne Wüste im jordanischen Wadi Rum


Maher

Der wohl größte Dank für dieses eine Jahr gebührt dem Mann, der unser Überleben durch Geschick und Voraussicht jeden Tag wieder aufs Neue gesichert hat: Maher, unser syrischer Fahrer, mit dem wir so manche brenzliche Situation auf den Strassen dieses Landes gemeistert haben. Ob Pferde auf der Autobahn, keifende Beduinenfrauen beim Überqueren der Strasse oder wildes Stau-Hopping – Maher wusste immer einen Ausweg (bis auf einmal, als er bei Regen doch etwas zu schnell war und in den Vordermann hineingerutscht ist... – aber das ist bei rund 50.000 km Fahrleistung wohl zu vernachlässigen!).

Interessante Pointe ist natürlich der Fakt, dass Maher ausschließlich arabisch spricht. Dadurch waren wir gezwungen, die wichtigsten Vokabeln und Ausdrücke in kurzer Zeit zu beherrschen und den Rest mit wilder Gestik und Zeichensprache zu überbrücken. Aber auch komplizierte Zusammenhänge wurden am Schluss zur Routineübung – er wusste meistens eh schon, was für umständliche Stationen wir in der Stadt wieder mal abklappern wollten.

Nur
zu einem hat auch bei ihm nicht gereicht: das Lesen von Stadt- oder Straßenplänen ist im syrischen Denkprozess einfach nicht vorgesehen – und wird es wohl auch nie sein... Und vergessen werden wir Maher sowieso nicht so schnell: auf jedem einzelnen unserer Kleidungsstücke, das wir zur Reinigung gegeben haben, steht irgendwo innen fein säuberlich sein Name zur Wiedererkennung... ☺


Unser Fahrer Maher



Abschied von Palmyra und Lattakia

Zwei Orte sind uns – aus verschiedenen Gründen – während unseres Aufenthaltes besonders ans Herz gewachsen: Palmyra und Lattakia.

Bei Palmyra liegt der Grund auf der Hand: die Oase mit ihren römischen Ruinen ist einfach einzigartig und egal zu welcher Jahres- oder Tageszeit man sie anschaut, es ist immer wieder wundervoll, diesen ganz speziellen Charme und diese Atmosphäre aufzusaugen. Nach rund zehn Besuchen im vergangenen Jahr, den meisten aus beruflichen Gründen, war unser Wiedererkennungswert beim letzten Rundgang dementsprechend hoch, so dass zwischen einer Teeeinladung und der nächsten teilweise nur acht Meter Straße lagen. Somit war das Wochenende voll von herzlichem Händeschütteln, netten Begegnungen und dem vielfach wiederholten Versprechen, dass wir so bald wie möglich wiederkommen werden – insha’allah (so Gott will).


Sonnenuntergang in den Ruinen von Palmyra


Mindestens genauso intensiv war der Abschied von unserem Projektteam in Lattakia. Übernommen als ein Haufen individualisierter Ingenieure, die von Projektarbeit nun wirklich nicht den blassesten Schimmer hatten, entwickelten sie sich durch unsere beharrliche Beratung tatsächlich zu einem Team, das sehr gute Fortschritte bei der Arbeit machte. Ausserdem merkte man, dass die meisten wirklich motiviert waren, von unserer Erfahrung zu lernen und sich zu verbessern.

Auch
hier fiel uns der Abschied sehr schwer, wir wurden am Schluß noch mehrfach eingeladen und sogar beschenkt, die wollten uns gar nicht gehen lassen. Und somit war Lattakia wohl auch der einzige Ort, an dem wir den direkten Eindruck gewonnen hatten, dass unsere Arbeit hier in Syrien doch einen positiven Einfluss hatte!


Liebgewonnene Mitarbeiter im Projektteam Lattakia



Tja, das waren sie also, unsere letzten Eindrücke aus Syrien. In ein paar Tagen geht unser Flieger in Richtung Heimat, und dann können wir uns wieder aktiv an Diskussionen zu Elterngeld, Arbeitsniederlegung und Gesundheitspauschalen beteiligen – aber vielleicht hat Petrus etwas Mitleid mit uns und bereitet uns für den Anfang wenigstens angenehme Frühlingstemperaturen...

Und dann können wir wieder gemütlich am Sonntag- nachmittag in den Biergarten gehen und uns bei schweinefleischlichen Genüssen mit all den lieben Freunden treffen, die wir so lange vermissen mussten – und darauf freuen wir uns jetzt schon!

Ganz liebe letzte Grüße aus Damaskus

اندرياس و ميخايلة

A & M

.

Keine Kommentare: