Freitag, 5. Januar 2007

November 2005

Damaskus, November 2005


Wir wünschen einen guten arabischen Appetit!


Nachdem nun auch bei Euch der Winter einkehrt, sind wir endlich wieder im Vorteil: 18°C und Sonne tagsüber! Allerdings wird es dafür des nachts schön frisch, so dass eine warme Jacke schon essentiell wird.... Aber gut, genug des Vorgeplänkels, hier kommt wieder ein aktueller Lagebericht aus Syrien, diesmal mit mehr Fokus auf Tourismus und den kulinarischen Genüssen des Landes:


Beirut

Nach unseren durchweg guten Erfahrungen mit den unproblematischen Grenzformalitäten haben wir die drei Feiertage zu Ende des Ramadans genutzt und uns zu einem weiteren Trip nach Libanon aufgemacht, um das ehemalige „Paris des Orients“ zu erkunden: Beirut! Auch diesmal wieder glatt durchgekommen, und nach rund 2 ½ Stunden Fahrt über zwei Bergketten in einem alten amerikanischen Taxischlitten sind wir bestens angekommen im westlichen Schlaraffenland (zumindest aus unserer syrischen Sicht...).


Blick über Downtown Beirut


Die Stadt selbst ist eine sehr intensive Erfahrung: auf der einen Seite sieht man an vielen Ecken noch die Spuren des bis 1991 dauernden Bürgerkrieges in Formvon Häuserruinen und Einschusslöcher – und auf der anderen Seite trifft man modern renovierte Stadtviertel mit jeder Form von westlichen Etablissements. Beirut liegt zwar am Meer, durch die dichte Hochhausbebauung bekommt man aber davon recht wenig mit – erst wenn man an der Corniche entlangläuft, weht einem der charakteristische Salzwasserduft um die Nase...


Häuserruine aus den Zeiten des Bürgerkriegs


Genial für uns sind natürlich die üblichen westlichen Versuchungen, besonders im

kulinarischen Bereich – nach langer Zeit der Abstinenz weiß man Einrichtungen wie Starbucks, Häagen Dasz und TGI Friday’s erst richtig zu schätzen! Garniert mit einem Besuch im traditionellen Fischlokal am Hafen waren das wunderbare Erlebnisse, wer schon mal längere Zeit im Ausland darauf verzichten musste, weiß, wovon wir reden! ☺ Und von besonderer Güte war auch der Abstecher in einen richtigen Buchladen, wo die Auswahl an englischsprachiger Literatur sich im mehr als einstelligen Bereich bewegt...


Flanieren entlang der Corniche


Auf jeden Fall haben wir das verlängerte Wochenende wunderbar genutzt, wenn wir auch danach ziemlich froh waren, wieder in ein richtiges „arabisches“ Ambiente zu kommen – heim nach Damaskus!!! Aber auf dem Weg dorthin haben wir noch etwas Grandioses entdeckt....: der Syrer mag ja alle möglichen Charaktereigenschaften haben, aber er ist in manchen Bereichen nicht dumm! Kurz vor seiner Grenzstation im Niemandsland hat er einen Duty Free-Shop mit Supermarkt hingebaut, in dem es alles gibt, was das westliche Herz begehrt: von Süssigkeiten über Barilla-Nudeln bis hin zu Tortilla-Dips einfach alles, was es in Syrien nicht gibt, im Libanon allerdings schon! Und auf die Einfuhr gibt es keinerlei Beschränkungen, denn den Gewinn streicht natürlich der Syrer ein... – schon schlau! Insofern haben wir also nun eine perfekte Quelle für die ein oder andere Annehmlichkeit des Lebens gefunden und schauen getrost dem nahenden Winter entgegen...


Seitenblick in libanesische Architektur


Ausflüge

Auf einem unserer letzten Ausflüge haben wir ein wunderbares Kleinod entdeckt: Deir Mar Musa, ein Konvent benannt nach dem heiligen Moses aus Äthiopien, was sich in die Berge kurz vor Beginn der syrischen Wüste schmiegt. Nach einiger Zeit des Suchens (selbst die meisten Syrer wissen nicht, dass dieses Kloster existiert) sind wir dann auch tatsächlich fündig geworden. Den kleinen Anstieg haben wir trotz latenter Höhenangst gemeistert, und wurden belohnt mit wunderbaren Fresken und großartigen Blicken über die Steppe, die sich am Horizont in die weite syrische Wüste ergiesst...


Ausblick über die Wüste


Deir Mar Musa


Ebenso lohnenswert war der x-te Besuch in Maaloula, ein kleines Dorf in den Bergen zum Libanon, das auch auf unserer Projektliste bezüglich Regionalplanung steht. Trotzdem die Struktur der Altstadt größtenteils verlorengegangen ist und in der unmittelbaren Umgebung Betongerüste in die Natur wachsen, hat der Ort eine ganz eigene Magie, die sich besonders in dem Sergius- und Bacchus-Kloster erleben lässt – welches mit seiner Gründung im 3. Jahrhundert n. Chr. zu einer der ältesten Kirchen der Welt zählt. Zusätzlich zu den landschaftlichen Reizen ist es einer von nur drei Orten, in denen heute noch aramäisch gesprochen wird (für die nicht so bibelfesten unter Euch, das ist die Sprache von Jesus Christus) – Kultur pur, und ganz besonders idyllisch an einem sonnigen Herbsttag!!!


Altstadt von Maaloula


Schlucht in den umliegenden Bergen


Und auch Damaskus bietet bei jedem Besuch wieder neue Reize und Wunder, die es zu entdecken gibt... Auf einen Tipp hin haben wir nach dem letzten verbleibenden Stoffdrucker der Stadt (und wahrscheinlich des Landes) gesucht, der in einem versteckten Khan seinem Beruf nachgeht. Erst mehrmaliges Nachfragen hat uns davon überzeugt, in die dunkle Gasse auch wirklich hinein zu gehen, und als wir um die Ecke bogen, sass da ein kleines Männchen im Dunkeln, das eifrig die selbst gefertigten Tücher mit seinen Stemplen in bunten Farben bedruckte – eine wahre Insel inmitten des Altstadttrubels! Überflüssig zu sagen, dass an diesem Tag das ein oder andere Tuch den Besitzer wechselte, und es wird auch nicht der letzte Besuch bei ihm gewesen sein – dass es solche Relikte noch gibt, ist selbst für syrische Verhältnisse absolut sensationell!


Selbstbedruckte Tücher bei Al Kourdi



Kulinarische Köstlichkeiten

Nachdem wir nun die Ramadan-Zeit mit all den besonderen Speisen (ähnliche wie in unserem Advent, gerade im süssen Bereich unschlagbar...) nun leider hinter uns haben, mussten wir uns wieder auf die Suche nach Abwechslung begeben – und siehe da, gar nicht sooo schwer, dort fündig zu werden!

Ya Hala

Erinnert Ihr Euch noch an Ya Hala, unseren Saftladen um die Ecke? Nachdem das Klima nun zunehmend kälter wurde, mussten wir uns nach einem adäquaten Winter-Saft umschauen und mehrmaliges Ausprobieren hat uns nun auf die perfekte Mischung gebracht: Erdbeere-Banane-Apfel – besonders gut zu geniessen in der 1,5-Liter Flasche für zuhause oder für den langen Büro-Tag! Das ist wirklich so, als würde der Sommer nochmal kurz vorbeischauen...

Aber nicht zu vergessen: für die besonderen Abende gibt es trotz der Kälte weiterhin die wohltemperierte (ca. 3°C, gerade so, dass sie nicht einfriert) Erdbeer-Nutella-Milch im praktischen Halbliter-Glas – und Nachschenken ist immer inklusive! Aber das ist natürlich nur was für richtige Männer...

Abu Shaker

Nein, wir sind unserem Saftladen nicht untreu geworden, nur ein bißchen fremdgegangen zu Abu Shaker... der macht nämlich den weithin berühmten „Stufen-Cocktail“: verschiedene Schichten Saft (Erdbeere, Avocado, Mango etc.) werden farblich abgestimmt übereinander drapiert. Und garniert wird das ganze mit einer undefinierbaren Milch-Honig-Banane-Mischung, damit man wirklich auch pappsatt rausgeht – und mit dem Monsterglas auch kein Wunder... Ersetzt ein komplettes Abendessen, versprochen!!! Aber abgesehen von dem Spassfaktor mit seinem süssen Zusatz kommt die Saftqualität natürlich nicht an Ya Hala ran...



Monstersaft bei Abu Shaker


Salé Sucré


Als hätten sie es geahnt, was uns zum Glück hier noch fehlt... genau 38 Schritte (abgezählt!) von unserer Haustüre entfernt hat eine französische Boulangerie / Patisserie aufgemacht – seitdem natürlich unsere regelmässige Anlaufstelle für den Freitagmorgen-Cappuccino sowie diverse Leckereien, die nicht gerade zur Gewichtsabnahme beitragen: Schokoladentwister, Cinnamon Rolls, Pain au Chocolat, frische Crepes und vorzügliche Baguettes... ein absoluter Genuss!

Das tröstet dann auch ein bißchen über Michaela’s grimmiges Gesicht hinweg, nachdem ihr heissgeliebter KFC an idealem Standort (3 Laufminuten von unserer Wohnung) seit drei Monaten offensichtlich in der Innenausbauphase steckengeblieben ist und sich eine mögliche Eröffnung unbekannt verzögert – soviel konstruktive Aktivität hätte dann ja auch verwundert in einem Land, in dem sich die Eröffnung des neuen Four Season-Hotels in Damascus aus politischen Gründen um über ein halbes Jahr verzögert und das neue Sheraton in Aleppo seit rund einem Jahr kurz vor der Eröffnung still steht...

Gelebte Kultur / Kino

So, zum Schluß noch ein absolutes Highlight, was uns hier immer mal wieder den Abend versüsst und uns kulturell enorm nach vorne katapultiert: das Kino. Es ist ganz bewußt das Kino, denn die syrische Kulturlandschaft besteht lediglich aus diesem einen (abgesehen von den indischen „Porno-Schuppen“, bei denen im Durchschnitt zwei nackte weibliche Oberarme sowie ein Knie gezeigt werden und die deshalb beliebte Anlaufstelle für die Jugend und sonstige Verzweifelte sind): nur im „Cham Palace“ gibt es internationale Filme in englischer Sprache, garniert mit arabischen Untertiteln.


„Cham Palace“ Kino


Ein Besuch ist immer wieder ein Erlebnis: wenn ca. monatlich das Programm gewechselt wird, kommt man in den Genuss von Welthits wie „Sahara“ oder momentan „Batman Begins“ („Zorro 2“ ist für Dezember angekündigt, aber das glaube ich erst wenn ich es wirklich sehe). Für nur 2,50 € gibt es dann eine persönlich ausgesuchte und auf die Karte gestempelte Platznummer zugewiesen, die von den Besuchern natürlich konsequent ignoriert wird. Nach dem obligaten Kauf der frisch gemachten, salzigen (!) Popcorn beginnt dann ein Spektakel, bei dem die Zeitpunkte von fünf Unbekannten zu koordinieren sind, die für den Syrer offensichtlich in keinerlei Kausalzusammenhang stehen:
  • wann der Film tatsächlich beginnt;
  • wann das Saallicht ausgeht;
  • wann der Leinwand-Vorhang geöffnet wird;
  • wann die Laustärke erträglich eingestellt wird; und
  • wann der Film scharfgestellt wird.
Daraus können sich naturgemäss die lustigsten Konstellationen ergeben, die nicht immer einen ungehinderten Filmgenuss versprechen. Wie wir selbst erlebt haben, gibt auch eine Anwesenheit zehn Minuten vor Beginn keinerlei Garantien dafür, dass man nicht die ersten fünf Filmminuten verpasst.

Der Syrer an und für sich stellt sich perfekt auf diese Gegebenheiten ein, indem er zu völlig willkürlichen Zeiten im Saal erscheint: bei Batman stieg die Anwesenheit von 50 Personen zu Beginn auf rund 200 Personen gegen Ende des Films an (linear verteilt über den Fortschritt des Filmes – leicht erkennbar an wildem Platzsuchen und lautstarken Anweisungen an ebenfalls anwesende Freunde, Bekannte etc.).

Das Durchschnittsalter z.B. bei Batman lag zu Beginn des Filmes bei rund 25 Jahren, gegen Ende war es aufgrund mehrere achtjähriger Kindergruppen erheblich gesunken. Sollte doch der ein oder andere dem Film folgen (können), äussert sich das in lautstarken Mißfallenskundgebungen, wenn der Böse gerade die Oberhand behält – echtes Erlebniskino!

Telefonieren während des Films gilt als schick und auf einen erhöhten Filmlärmpegel wird routiniert mit lauterem Rufen ins Telefon reagiert – die Länge des Gespräches wird durch die äusseren Umstände keinesfalls beeinträchtigt. Da soll mir noch einer mit dem Unterhaltungswert des Mathäsers ankommen...


So, das war es wieder für heute! Ab heute bekommen wir einwöchigen Familienbesuch, was natürlich besonders schön und willkommen ist. Und Claudia, nun nun seit mehr als zwei Wochen allein als Frau in Libanon und Syrien unterwegs ist, ist ganz hin und weg von Land und Leuten – und sie hat uns extra aufgetragen zu sagen, dass das Reisen hier sehr angenehm und in keinster Weise schwierig ist, weder in logistischer noch in kultureller Hinsicht!

Also, lasst Euch schön einschneien und geniesst den herannahenden Winter, und vergesst nicht: wir freuen uns über jede Form der Kontaktaufnahme, und sei es auch nur eine kurze sms oder E-Mail!

Liebe Grüße aus der ewigen Stadt

اندرياس و ميخايلة

A & M

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