Freitag, 5. Januar 2007

September 2005

Damaskus, September 2005


احلان و سحاان بل دمشق
Herzlich willkommen in Damaskus!


Nachdem nun auch bei uns so langsam die ersten Anzeichen für ein Ende des ewigen Sommers kommen, noch schnell ein aktuelles Update aus Syrien – bevor München in dem jährlichen kollektiven Bierrausch versinkt und der Rest der Republik in unbegründeten Freudentaumel ob der sagenhaft verbesserten politischen Lage („netto für brutto – oder so!“) verfällt...! (und ich will nix hören, was wir hier für eine Schlacht mit der Botschaft durchmachen, nur um mitwählen zu können.....)


Damaskus

Ein samstäglicher Ausflug in das Herz von Damaskus, die Altstadt, hat uns mal wieder klar gemacht, in welcher geschichtsträchtigen Umgebung wir uns befinden und was für Schätze hinter manchen einfachen Türen versteckt sein können. Die alten Hofhäuser von Damaskus aus den Zeiten des 18.-19. Jahrhunderts unter ottomanischer Herrschaft sind teilweise von unglaublicher Schönheit...


Beit Sibai


Und während manche in Privatbesitz sind, gut gepflegt und zum
Teil auch in Restaurants oder Hotels umgewandelt werden, dümpeln andere unter notorischem Geldmangel für Renovierungsarbeiten vor sich hin. Es ist wie das Eintauchen in eine andere Welt, fernab vom Straßenlärm und sonstigem Stress, eine Oase der Ruhe, der Kühle, der Natur und der Geborgenheit... die alten Araber wußten sehr genau, wie man es sich gut gehen lassen kann!


Beit Nizam


Gesellschaft

Manchmal ist es schon ziemlich schwierig, die Gesellschaft hier in Syrien zu verstehen. Einerseits ist das Land – gerade für Arabien – recht liberal, sowohl in religiöser Hinsicht (ca. 10-15% Christen) als auch bezogen auf die Einstellungen allem Westlichen gegenüber. Moderne Cafés und Restaurants machen auf, Englisch wird von einigen zumindest ein bißchen gesprochen und man wird in den meisten Vierteln als Ausländer kaum angeschaut.

Allerdings gibt es dann immer wieder Dinge, die einfach schwer nachvollziehbar sind. Ein
großer Teil der hiesigen Frauen läuft mit Kopftuch (arab. hijjab) herum. Zwar nicht mit komplett schwarzer Kutte, die sieht man selten, aber mit Tuch und als Kleidung mehrere Schichten, Strümpfe und der unvergleichliche Mantel darüber, der aus jeder Frau einen undefinierbaren Kleiderhaufen macht. Das steht natürlich in krassem Widerspruch zu den sonstigen Bemühungen um Öffnung und Reform – und darauf angesprochen bekommt man eigentlich immer die gleiche Antwort: weil es die Familie und die Gesellschaft so fordern, Kleidung ist keine freie Entscheidung.


Kleiderhaufen in der Altstadt


Dies ist aber wiederum von Fall zu Fall unterschiedlich, Christinnen tragen überhaupt kein Kopftuch, und viele moderne Frauen auch nicht. Also wirklich schwierig zu begreifen für einen – wenn auch aufgeschlossenen – westlichen Geist! Und vor allem existiert noch der krasse Gegensatz zur Geldelite (es gibt hier quasi nur Unter- und Oberschicht, die gute alte deutsche Mittelschicht – die ja auch am Aussterben ist – ist nicht vorhanden), die ihre üppigen weiblichen Rundungen in hautengste Jeans pressen und auf hochhackigen Schühchen daherkommen – allerdings teilweise auch wieder mit Kopftuch!! Aber gut, man muss ja vielleicht nicht alles verstehen können was man so mitbekommt, aber komisch ist es schon!

Arabisch

Nun gut, mittlerweile ist ja schon einige Zeit ins Land gegangen, und wir sind immer noch dabei, uns diese höchst eigenartige Sprache anzueignen... Die bisherigen Erfahrungen sind dabei recht zwiespältig: auf der einen Seite macht es zwar Spass, arabisch zu lernen und auch anzuwenden – die Reaktionen sind immer durchweg positiv, sowohl beruflich als auch privat! Allerdings ist es auch wirklich sehr anstrengend und schwierig, da liegt die Tücke im Detail.

Grundsätzlich ist arabisch zwar ziemlich logisch, aber 1.) bleiben diese eigenartigen Wörter einfach nicht in unseren Köpfen hängen, 2.) ist eine Transskription der Wörter mit unseren Buchstaben nur bedingt förderlich für die korrekte Aussprache, und 3.) ist die Aussprache der ganzen Konsonanten- Verbindungen nochmal eine Sache für sich (z.B. btktobna, bmsafr und solche Scherze...).

Zusätzlich gibt es
ja noch den Unterschied zwischen dem gesprochenen „Slang“ im täglichen Leben und dem Hocharabisch im Fernsehen – nochmal ein Kapitel für sich. Geschrieben wird dann aber wieder fast gleich... Deswegen haben wir beschlossen, wir müssen da anders ran: wir lernen ab jetzt nur noch auf Basis der arabischen Schrift – was zur unmittelbaren Folge hat, dass das Lesen eines einzigen Satzes mit ganzen vier Wörtern nun rund eine Minute braucht.... ☺


Unser Schreibheft aus der 1. Klasse


Aber gut, es gibt auch kleine Fortschritte, die uns vielleicht manchmal gar nicht so auffallen, so dass die Kommunikation mit grammatikalisch richtigen (!) Sätzen von rund vier Wörtern Länge (siehe oben) nun schon hin und wieder funktioniert – und das gibt dann wieder den nötigen Motivationsschub! Aber bis wir die hohe Kunst der Kalligraphie meistern, wird es wohl doch noch ein bißchen dauern.....


Kalligraphie eines Löwen


Einkaufen für Fortgeschrittene

Nachdem die Einkäufe des täglichen Lebens auf dem Markt ja schon fast zur Routine geworden sind, haben wir uns überlegt, diese Monotonie ein bißchen aufzupeppen und uns auf der Suche nach Karteikarten (sic!) in das Damaszener Souk-Gewimmel zu stürzen – heraus kam eine wunderbare und abenteuerliche Odysseen mit positivem Ende!


Souk „Al-Hammidiye“

Also, erster Weg Richtung Schreibwaren-Souk (hat alles seine Ordnung hier, man muss nur wissen, wo!) und in das erste Geschäft reingefallen – und dann nahm der Spass seinen Lauf...:
  • Zuerst das typische Spiel: der Versuch, unser Anliegen auf gebrochenem Arabisch darzulegen, was auf ungläubiges Staunen und offene Münder bei den jeweiligen Shopbesitzern trifft (pikanterweise befinden wir uns noch mitten im Vorschul-Rummel, wo halb Damaskus Stifte und Schreibhefte für die Kids besorgt => erhöhter Schwierigkeitsgrad!).
  • Nach kurzen Momenten der Verblüffung dann erste freundliche Worte, Wortschwälle auf arabisch, die uns zu verstehen geben, sie hätten leider nun so überhaupt keine Ahnung von was wir denn reden würden. Weitere Versuche auf geradebrechtem Englisch oder Französisch führten immerhin zu grundsätzlicher Einigung, dass wir irgendwas in Richtung Papier wollen.
  • Dann die nächste Stufe, das Aufschreiben des arabischen Ausdrucks für das, was wir möglicherweise suchen: die gute, alte Zettelwirtschaft.
  • Es folgen weitere Nachfragen in verschiedenen Shops, wobei klar wird, dass das aufgeschriebene Wort natürlich nicht mal im entferntesten etwas mit unserem Anliegen zu tun hat... (es stellt sich recht schnell heraus, dass das System von Karteikarten im arabischen Raum vollkommen unbekannt ist...)
  • Dann ein Lichtblick, der aufgeschrieben Name eines Druck-Ladens, welcher nur 20 m weiter gleich auf der rechten Seite sein soll...
  • Weitere Rundfragen bei den umliegenden Shops inmitten der typischen großen
  • Hilfsbereitschaft der Syrer ergeben, dass keiner eine Ahnung von besagtem Shop hat – bis wir von einen der Liefer-Boys mitgenommen werden: er weiß tatsächlich, wo sich dieser Shop befindet! (natürlich nicht rechts, sondern links abbiegen, dann nochmal rechts und dann irgendwo versteckt, alles in allem ca. 200 m weg....)
  • Dort angekommen ist das leider eine Druckerei für hochwertige Hochzeitseinladungen, wieder nix... also gut, ein letzer Versuch noch in dem kleinen Papiershop nebenan....
  • Großes Hallo – der Sohn spricht Englisch und lernt sogar Deutsch! Erklärung des Anliegens führt zwar zu dem bekannten Staunen, aber auch zu Aktivität: Papier wird gebracht, verschieden große Stücke werden gezeigt und verglichen, mit dem Lineal Dimensionen abgemessen... dann die Einigung auf Größe, Beschaffenheit und Menge – und weg ist er! Fünf Minuten später die Auflösung: die Karteikarten wurden eigens für uns zugeschnitten! Selbstverständlich hat die gebrachte Größe wieder nichts mit den ausgemachten Abmessungen zu tun... Aber wir waren glücklich!

Und somit waren wir – nach kaum einer Stunde, rund 15 Shop-Besuchen, mehreren hangeschriebenen Zetteln und ca. ½ km anbgelaufener Soukstrassen – stolze Besitzer von 300 handgefertigten Karteikarten für den Gegenwert von ca. € 3,00... Und haben obendrein unser Bild der stets netten und hilfsbereiten Syrier wieder einmal bestätigt bekommen!


Urlaub

Ja, auch wir machen mal Urlaub, und wie nicht anders zu erwarten zieht es uns natürlich gleich wieder in ein arabisches Land – besser gesagt: in zwei! Und zwar geht es für zehn Tage in die V.A.E. sowie nach Oman, was immer noch eines unserer absoluten Traumziele ist und wir diesmal endlich dorthin zum urlauben fahren wollen! Wie es das Schicksal so will, gehen die Flüge allerdings von Deutschland aus, so dass wir Ende September / Anfang Oktober in München auftitschen werden. Leider wird uns diesmal allerdings zwischen dem Flughafen, dem 70. Geburtstag meines Vaters, der Wies’n und dem Aus- und wieder Einpacken die Zeit fehlen, die lange vernachlässigten Freundschaften intensiv zu pflegen – da müssen wir mal wieder auf die einmalige Gelegenheit verweisen, ein traumhaftes Land mit seiner ewigen Hauptstadt (über 2000 Jahre älter als Rom) persönlich zu besuchen und uns dabei als Führer zu haben...

byzantinische Ruinen in Qanawat


Und übrigens sind wir jetzt stolze Besitzer einer syrischen Aufenthaltsgenehmigung, und das
ganz ohne den normalerweise verpflichtenden AIDS-Test...! Dafür wurde der Antrag auch vom Ministerpräsidenten persönlich unterschrieben - wenn sonst nix zu tun ist...


Omayaden-Moschee in Damaskus


Wir hoffen, unsere Wahlheimat wieder ein klein bißchen näher gebracht zu haben mit seinen liebenswürdigen Macken und Verrücktheiten – ganz ehrlich: wenn wir mit denen nicht jeden Tag zu kämpfen hätten, wir würden sie schon fast vermissen!

Ganz liebe Grüße nach Deutschland

اندرياس و ميخايلة

A & M

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