Freitag, 5. Januar 2007

Februar 2006

Damaskus, Februar 2006


Vorfrühlingshafte Grüße aus Damaskus!


Seit unserer Rückkehr vom Winter-Urlaub in Deutschland ist ja einiges passiert – mal sehen, ob wir davon eine passende Zusammenfassung liefern können... Und nebenbei haben wir schon einen Vorgeschmack auf den Damaszener Frühling erhalten, mit schönem Sonnenschein, zweistelligen Temperaturen und Vögelgezwitscher – aber der Winter wird wohl schon noch ein paar Tage bleiben, bis er sich dann hoffentlich endlich verzieht... Viel Spass beim Lesen!


Aktuelle Situation

Die brennenden Botschaften vor zwei Wochen haben uns an unserem Ankunftstag natürlich auch erstmal schockiert, sowas hatten wir uns hier in Syrien sicherlich nicht erwartet. Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, wurde aber wohl ziemlich schnell klar, dass es sich um eine gezielte Einzelaktion gehandelt hatte und nicht um einen kollektiven Ausdruck der syrischen Gesellschaft gegenüber Ausländern. Ganz im Gegenteil, die meisten Syrer waren ebenso erschrocken, dass so etwas in ihrem Land möglich ist.

Seit jenem Samstag ist es hier absolut ruhig, es gab nicht mal mehr eine Demonstration, und die anti-dänischen Poster, die hier in einigen Ecken rumhängen, sind bereits vor Wochen in Saudi-Arabien und den UAE gedruckt worden. Obwohl wir natürlich nun aufmerksamer unsere Umwelt wahrnehmen, hat sich subjektiv nichts geändert, wir fühlen uns immer noch sehr wohl und herzlich aufgenommen von den Einheimischen, keine Ressentiments irgendwelcher Art. Und interessanterweise haben die Mohammed-Karrikaturen in den hiesigen Medien eine viel geringe Breitenwirkung als in Europa und Deutschland – es gibt interessantere Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann... zum Beispiel, dass Syrien vogelgrippefrei ist!!! ;-))


Abendhimmel über Damaskus


Reise ins Landesinnere

Noch im Januar haben wir ein paar Feiertage genutzt, um einen uns unbekannten Teil Syriens zu erkunden, nämlich die Gegend um den Euphrates herum. Nach fünf Stunden Busfahrt durch die Wüste war es dann schon ein Erlebnis, an die grünen Ufer des Flusses zu gelangen, der Kontrast war frappierend.

Allerdings haben wir nicht gerade das beste Wetter erwischt, so dass unsere Ausflüge dort von zweifelhaften Erfolg gekrönt waren: Dura Europos, eine römische Stadt oberhalb des Euphrates, war immerhin im strömenden Regen und knöcheltiefen Matsch noch begehbar und hatte zumindest einen gewissen Charme. Anders dagegen Mari, eine frühzeitliche Kultur um die Zeit 2500 – 1500 v. Chr, dort herrschte „Land unter“, die Ausgrabungen waren wegen Überflutung unzugänglich... So viel zu unserem Trip in die Wüste, aber immerhin haben wir die Annäherung auf 15 km an die irakische Grenze ohne Blessuren überstanden!



Schlammschlacht in Dura Europos


Wir sind dann noch entlang des Euphrates nach Norden gefahren, und dort war das Wetter immerhin etwas besser – diese Gegend zumindest wäre bei schönerem Wetter und ein bißchen höheren Temperaturen sicherlich nochmal einen Besuch wert. Und unsere zwei Tage in Aleppo standen auch ganz im Zeichen des Matsches: nachdem im Souk das Pflaster gerade (bzw. seit Mai letzten Jahres) neu gemacht wird, ging die Schlammschlacht munter weiter...

Und bei diesen Bedingungen die Blutlachen von den zum Opferfest geschlachteten Schafen erfolgreich zu umlaufen und zu überspringen grenzte schon an Akrobatik... Nun gut, wir haben uns dann von einem Altstadtrestaurant zum anderen gefressen und haben das süsse Nichtstun genossen – aber der nächste Besuch wird garantiert bei besserem Wetter erfolgen!


Im „Bauch“ von Aleppo –der Souk


Kunsthandwerk

Wie ja schon des öfteren erzählt, ist Syrien ein absolutes Mekka für Kunsthandwerk jeder Art. Nun haben wir noch etwas neues gefunden: Abu Ahmed heisst eine Werkstatt für mundgeblasenes Glas – ein Metier, dass in Europa wohl ausserhalb von Venedig kaum mehr existiert! In der Mehrheit werden dort Gegenstände des täglichen Lebens hergestellt: Trinkgläser, Teegläser, Vasen, Karaffen, Aschenbecker etc. Für uns natürlich Grund genug, uns mit den teils krummen und schiefen Exemplaren einzudecken – ein wunderbar weiches Gefühl, wenn man so etwas in den Händen hält und am Mund spürt!

Lustig war dann natürlich die Spezialanfertigung, die wir nach Michaelas zeichnerischen Vorgaben anfertigen liessen: zuerst wurden drei Prototypen produziert und wir durften entscheiden, welcher unseren Vorstellungen am ehesten entsprach. Und dann wurde fröhlich drauflos geblasen, so dass wir jetzt 12 Unikate daheim in München stehen haben – und natürlich keines auch nur annähernd so aussieht wie das andere...! ☺



Freie Auswahl beim Glasbläser „Abu Ahmed“


Kulinarisches

Und zum Abschluss nochmal ein kleiner Abstecher in die kulinarische Welt, mit einer besonderen Würdigung für einen kleinen Helden: „Hum Hum“ heisst der winzige Racker, der uns schon so oft das Leben gerettet hat, wenn wir total ausgehungert aus irgendwelchen stundenlangen Meetings herauskamen (das mit den Meetings ist nochmal ein anderes Thema, aber es kann ziemlich grausam sein: fünf Stunden auf arabisch, und dann noch ohne irgendein Ergebnis ist nicht immer sehr förderlich für die Motivation...). Eigentlich nur ein Abklatsch von dem uns bekannten Bounty, jedoch in schweren Notsituationen so nahrhaft und kräftig, dass er sogar deutschen Beratern wieder auf die Beine hilft. Zu erstehen in jedem gutsortierten syrischen Kiosk oder Onkel-Ahmed-Laden, für unschlagbare 5 SYP (= ca. 8 Eurocent) pro Stück – unbedingt zu empfehlen!


Lebensretter „Hum Hum“


Und es gibt noch eine Erfolgsmeldung, an die wir selber schon gar nicht mehr geglaubt haben: der KFC, dessen Bauarbeiten über mehrere Monate hinweg stillstanden, hat nun tatsächlich doch noch eröffnet!!! Das ist insofern bemerkenswert, als dass es die erste internationale Gastronomie-Kette ist, die in Syrien eröffnet hat – zumindest ein Zeichen, dass das Land sich langsam weiter öffnet! Wir haben uns den Besuch am Eröffnungstag natürlich nicht entgehen lassen und uns ein Spicy Chicken gegönnt – nach langer Zeit der Enthaltsamkeit weiss man solche ungesunden Dinge einfach noch mehr zu schätzen...


Der erste KFC in Syrien - 5 Minuten vor unserer Haustüre


So, das war es wieder für jetzt aus Syrien, wir hoffen natürlich, dass die Situation weiter ruhig bleibt (wobei so richtig ruhig wird es in diesem Teil der Welt wohl nie werden, soviel haben wir jetzt mittlerweile schon gelernt). Und wir freuen uns auf die anstehenden Besuche aus der Deutschland, denen wir zumindest einen Einblick in gegenwärtige Heimat geben können und all die schönen Dinge zeigen, die uns hier so faszinieren – inklusive Hum Hum natürlich!!! Und ausserdem ist Syrien wohl das einzige Land der Welt, in dem es aus Angst vor Schnee prophylaktisch schulfrei gibt...

Ganz liebe Grüße aus Damaskus

ةلياخيم و سايردنا

A & M

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